Sie stehen mit dem Tablet hinter dir und schauen dir über die Schulter, bei jedem Handgriff, den du tust; sie tippen vorgegebene Arbeitsereignisse ein oder notieren Besonderheiten; sie notieren, wenn du zur Toilette gehst oder einen Schluck Wasser trinkst. – Mit dem REFA-Berater im Werk Bad Wurzach des Behälterglasproduzenten Verallia Deutschland AG unterwegs: Eine Erfahrung.
Tagebuch eines Beraters
Walter Staudt ist Sortiermaschinen-Elektriker in Bad Wurzach. Am 14. Juli hat er Mittagsschicht. Im Büro der WS2 trifft man sich und schaut auf den SIL-Monitoren, wie die einzelnen Linien laufen und ob es irgendwo Probleme gibt. Alles ganz normal. Man soll ja so tun wie immer. Das hat auch Frank Schildheuer vom Betriebsrat in den Vorgesprächen so geraten. Es geht um eine möglichst realistische Datenerhebung zur täglichen Arbeit.
Noch bevor alle neun Linien mit 19 Strängen am Computer durchgeschaut sind, geht der Piepser los. Ab ins Werk 2, eine Störung beheben.
„An dem Tag war extrem viel los", erklärt Staudt später. „Zusätzlich zu den zwei normalen Umbauten wurden die Linien 7/1 und 7/2 nach einer Umfärbung der Wanne 7 angefahren. Da ist immer mehr zu tun."
179 „Ereignisse" hat Martin Löwe, Berater der REFA Consulting AG am Schichtende auf seinem Tablet erfasst. Überdurchschnittlich viel.
Staudt eilt ins Werk 2, Löwe hinterher, nicht im „weißen Kragen", sondern in Verallia-Werkskleidung. An einer Sortiermaschine drückt Staudt verschiedene Knöpfe, dann öffnet er die Maschine. Im Hintergrund der REFA-Fachmann. Auf seinem Tablet sind alle vorhersehbaren Arbeitsarten angelegt. Das wurde im Vorfeld gemeinsam mit den Kollegen von Verallia zusammengestellt. Jetzt muss Löwe nur noch die verschiedenen Arbeitsarten mit den exakten Zeiten verknüpfen.
Arbeiten unter Beobachtung kann einen ja nervös machen. Walter Staudt lässt sich durch die Zeiterfassung nicht aus dem Konzept bringen. „Man muss in dem Job konzentriert arbeiten, egal ob einem dabei jemand zuschaut", sagt er. „Hauptsache, der Fehler ist schnell behoben."
Während die eine Sortiermaschine wieder läuft, leuchtet gleich gegenüber ein anderes Störungssignal. Staudt wechselt hinüber, geht die verschiedenen Prüfmechanismen durch, nimmt eine Abdeckung von der Maschine. Ein Teil muss offenbar ausgewechselt werden. Ab ins Lager.
„Wege" notiert der REFA-Erfasser. Wer wegen jeder Schraube durchs halbe Werk laufen muss, der kann sich darauf gefasst machen, dass in der Datenanalyse später „Wege" rot aufleuchtet. Aber so gescheit war man hier im Werk schon vorher: Das Nötigste hat Walter Staudt dabei, und häufiger benötigte Ersatzteile sind in einem kleinen Präsenzlager in unmittelbarer Nähe zu den Linien zur Hand.
Weil an diesem Tag Einsatz sich an Einsatz reiht, geht die Erfassung überwiegend stumm vor sich. Martin Löwe darf ja den Elektriker nicht von der Arbeit abhalten. Aber wenn sich die Gelegenheit ergibt, fragt er doch nach, was gerade gemacht werden muss. „Das war sehr angenehm", sagt Walter Staudt anschließend. Irgendwie verspürt man doch den Drang, dem interessierten Beobachter zu erklären, was da läuft. Und für den REFA-Berater ist es auch wichtig, bestimmte Abläufe zu verstehen.
„Störungsbehebung Anlage" drückt Martin Löwe. Die Zeit auf seinem Tablet läuft von der ersten bis zur letzten Minute der Schicht durch. Indem er Messwerte zu den Tätigkeiten zuordnet, kann er anschließend bei der Datenauswertung exakt angeben, welche Tätigkeiten wie oft und wo vorgenommen wurden.
Staudt hat vor der REFA-Studie keine Angst. „Bei anderen Firmen ist das gang und gäbe", weiß er. Und überflüssig kommt er sich an diesem Tag wahrlich auch nicht vor. Aber auch wenn weniger los wäre, hätte er genug zu tun, zählt er auf: Routinekontrollen, vorbeugende Instandhaltung, Wartung von Maschinen.
„Wer bei dieser Hitze acht Stunden am Tag schaffen muss, der ist geschafft", meint Staudt. Das ist ein Punkt, der auch bei der Bewertung der REFA-Ergebnisse später eine Rolle spielt. Vergleicht man die physische Belastung der Beschäftigten in der Behälterglasproduktion mit denen anderer Betriebe, dann ist alles im Grünen Bereich – wenn man Hitze und Lärm außen vor lässt. Dass jedoch genau diese Faktoren berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Belastung der Mitarbeiter geht, ist allen Beteiligten klar.
Walter Staudt weiß, dass REFA-Studien erstellt werden, damit anhand der Ergebnisse Änderungen in den Arbeitsabläufen vorgenommen werden können. „Verbesserungsvorschläge überlegen wir uns ja selber auch ständig", erklärt er. „In den Teamgesprächen geht es immer auch um KVP." Gemeint ist der „kontinuierliche Verbesserungsprozess. „Wir sind ja selber bestrebt, so effektiv wie möglich zu arbeiten", sagt Staudt. Gerade an einem solchen Tag, an dem er „an der Grenze der Belastbarkeit" arbeiten muss.
Die Datenerhebung ist im Werk Bad Wurzach abgeschlossen. Walter Staudt hat acht Stunden lang die Erfahrung gemacht, wie es ist, wenn einem ständig einer auf die Finger schaut. Sein Fazit: „Bin gespannt, was da rauskommt!"
Datenerfassung live
Walter Staudt (rechts) arbeitet, sein „Schatten" Martin Löwe notiert. Ein Tag unter strenger Beobachtung.
Fachgespräche zwischen Staudt und Löwe. Der Sortiermaschinenelektriker empfand es als angenehm, dass Löwe nicht nur als stummer Zeuge hinter ihm stand.
„Besprechung" mit Anmerkungen über das, was heute gerade wichtig ist? Die Zuordnung ist gelegentlich auch Interpretationssache. Frank Schildheuer vom Betriebsrat in Bad Wurzach {Zweiter von links) hat die REFA-Studie begleitet. Er findet, dass die Berater fair waren.
Von „ARD" zu „ZDF"
von Dipl.-Wirt.-Ingenieur Martin Löwe, Berater der REFA Consulting AGAls REFA-Spezialisten kommen wir in viele Betriebe und können Arbeitsabläufe vergleichen. Für mich war es hochinteressant, unter welchen Bedingungen die Prozesse in der Behälterglasindustrie stattfinden. Da kann ich nur vor den Mitarbeitern den Hut ziehen. Respekt! Die Glasherstellung ist etwas Besonderes. Ich habe noch nie so sehr geschwitzt bei der Arbeit wie hier.