Die digitale Transformation der Wirtschaft macht auch vor dem Consulting-Business nicht halt. Moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet viele Möglichkeiten, Beratungsprozesse zu optimieren.
Beratung kennen wir heutzutage vor allem als Face-to-face-Kommunikation, bei der die Berater und ihre Klienten sich persönlich treffen. Sei es, wenn es um das Thema Finanzierung, das Planen technischer Anlagen oder das Durchführen von Transformationsprojekten im Unternehmen geht. Inwieweit dies auch künftig der Fall sein wird, ist seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie fraglich, denn: Durch dieses Ereignis etablierten sich auch in der Beratung digitale Kommunikations- und Kooperationstools. – Tools, die im Unternehmenskontext im Zuge der Globalisierung und zunehmenden Vernetzung oft schon lange im Einsatz waren. So wurde beispielsweise das Kollaboration-Tool Microsoft Teams bereits 2017 weltweit von mehr als 200.000 Unternehmen genutzt. Wie viele es heute sind, ist unbekannt. Microsoft verkündete jedoch im Juli dieses Jahres: Inzwischen nutzen über 20 Millionen User diesen Dienst täglich – Tendenz stark steigend. Folglich dürfte sich auch die Zahl der Unternehmen vervielfacht haben.
Berater sind keine Vorreiter bei der Digitalisierung
Der Begriff Digitalisierung bezeichnete ursprünglich rein das Überführen von Daten aus einer analogen in eine digitale Speicherform. Zunehmend wird hiermit jedoch auch das Übertragen von Aufgaben, die bislang Menschen wahrnahmen, auf Computersysteme gemeint. Mit den Herausforderungen und Chancen, die sich hieraus ergeben, befassen sich branchenübergreifend viele Unternehmen.
Die Automobilbranche denkt zum Beispiel seit Jahren über selbstfahrende Autos nach und die Banken befassen sich mit dem Thema Machine Learning in Zusammenhang mit der Robotic Process Automation (RPA). Doch die Beratungsbranche? Sie blieb hiervon bis zum Ausbruch der Corona-Krise weitgehend unberührt. Berater reisten weiterhin durch die Welt, nur dass sie anders als zur Jahrtausendwende auch einen Laptop und ein Smartphone in der Tasche hatten. Für eine effektivere Gestaltung der Beratungsprozesse selbst wurden die Möglichkeiten der Digitalisierung jedoch kaum genutzt.
Eine langsame Veränderung konnte man aber bereits vor Corona feststellen – unter anderem, weil außer dem „Klassiker“ Skype von den IT-Unternehmen immer mehr Tools auf den Markt gebracht wurden, die eine Kommunikation und Zusammenarbeit über die Distanz digital ermöglichen. So besagtes Tool Microsoft Teams. Der Treiber dieser Entwicklung war in der Regel nicht die Consulting-Industrie. Der Impuls zur stärkeren Nutzung der modernen Kommunikation- und Kollaboration-Tools ging vielmehr meist von ihren Klienten aus.
Dieser Trend ist zu begrüßen, denn aus der Nutzung dieser Instrumente im Beratungsprozess ergeben sich Vorteile für die Beratungsunternehmen und ihre Kunden. Die Beratung, wie wir sie bisher kannten, fand in der Regel beim Kunden statt. Damit verbunden waren oft hohe An- und Abreise- sowie nicht selten Übernachtungskosten, die von den Kunden zusätzlich zum eigentlichen Beraterhonorar zu entrichten waren – nur dafür, dass sich der Berater auf den Weg zu ihnen machte und bei ihnen vor Ort präsent war.
Digitalisierung ermöglicht neue Beratungsformate
Deshalb fragte sich eine wachsende Zahl von Unternehmen zu Recht: Ist dies im digitalen Zeitalter noch zeitgemäß oder kann eine Beratung nicht auch „remote“, also mit Hilfe der modernen Kommunikationstechnik, erfolgen? Dies fragten sich die Unternehmen auch, weil eine intensivere Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnik folgenden Vorteil hat: Es werden kürzere Beratungseinheiten möglich.
Denn eine persönliche Face-to-face-Beratung rechnet sich für die Kunden, aufgrund der direkt oder indirekt von ihnen zu bezahlenden An- und Abreisezeiten sowie Reisekosten der Berater in der Regel nur, wenn diese mindestens einen Tag vor Ort sind und für das Unternehmen arbeiten. Anders ist dies bei einer digitalen Beratung: Dann stimmt, da die Reisezeiten und -kosten entfallen, oft auch bei ein- oder zweistündigen Arbeits- und Beratungssessions für beide Seiten die Input-und-Output-Relation. Aus diesem Grund wurden daher auch schon vor dem Ausbruch der Covid-19-Pademie verstärkt kurzfristige Beratungen via Skype und Facetime seitens der Kunden nachgefragt und die angesprochenen Kollaborationstools im Beratungsprozess zunehmend genutzt. Die Pandemie wirkte diesbezüglich nur wie ein Brandbeschleuniger mit der Konsequenz, dass künftig – auch wenn ein Corona-Impfstoff gefunden wird – so mancher Berater wohl mehr Zeit in Online-Meetings als beim Kunden im Büro verbringt. Vor allem, weil in vielen Unternehmen der Einsatz dieser Tools bei der standort- und unternehmensübergreifenden Team- und Projektarbeit schön längst gängige Praxis ist. Warum sie also nicht für die Beratungsarbeit nutzen?
Beim Change den Erfolgsfaktor Mensch beachten
Doch so einfach, wie es zunächst erscheint, erweist sich in vielen Fällen ein Digitalisieren der Beratung nicht, denn ein wichtiger Faktor darf nicht unberücksichtigt bleiben: der Faktor Mensch. Er spielt insbesondere bei Change- und Transformationsprojekten eine wichtige, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. Bei komplexen und konsequenzenreichen Themen, wie einer Reorganisation oder Sanierung wäre es aus Mitarbeitersicht geradezu absurd, wenn die Berater den damit verbundenen Changeprozess nur online, beispielsweise per Videokonferenz, begleiten würden. Dies würde sich auch auf die Qualität der Beratung auswirken, denn: Durch die räumliche Distanz und die Möglichkeit, sich einfach auszuklinken, wenn man – zumindest sachlich-fachlich – scheinbar nichts mehr zu besprechen hat, entstünde eine emotionale Kälte, die für den Erfolg des Change-Projekts nicht förderlich wäre. Deshalb wird vermutlich, wenn ein Reisen und Konferieren wieder problemlos möglich sein wird, der Einsatz von Videochat-Tools in solchen Projekten vermutlich nur eine On-top-Leistung sein; beispielsweise zum Durchführen von Ad-hoc-Coaching-Sessions, wenn unerwartet Probleme auftauchen, die kurzfristig einer Lösung bedürfen.
In der Praxis wird sich das Bestreben, den Beratungsprozess zu digitalisieren, voraussichtlich stets auf einem schmalen Grat bewegen, bei dem es permanent neu einzuschätzen gilt,
- wo und wann der Einsatz digitaler Techniken Sinn macht und
- wo und wann es einer persönlichen Face-to-face-Kommunikation bedarf.
Digitale Beratungsstrukturen auf- und ausbauen
Dessen ungeachtet wird sich die Consultingbranche in den kommenden Jahren mit den Themen Digitalisierung ihrer Leistungen und Einsatz digitaler Tools im Beratungsprozess intensiv befassen müssen, denn der Prozess der Digitalisierung der Wirtschaft macht vor ihr nicht Halt.
Bei vielen Unternehmensberatungen ist es üblich, dass ihre Berater das in Projekten gesammelte Daten- und Faktenwissen für Folge- und Anschlussprojekte in irgendeiner Form speichern und dokumentieren. Schwierigkeiten bereitet ihnen zum Teil aber noch – wie vielen Unternehmen – das Speichern des sogenannten Erfahrungswissens, das den Experten-Status oft erst begründet. Durch das Einführen einer digitalen Ebene der Wissensspeicherung verknüpft mit einer kollegialen Beratung wird auch das Teilen und Weitergeben dieser Wissensform erleichtert.
Für die Kunden der Beratungsunternehmen ergibt sich daraus unter anderem folgender Vorteil: Angenommen ein Berater arbeitet schon längere Zeit für ein Unternehmen, dann genießt er in dessen Organisation in der Regel eine gewisse Akzeptanz. Angenommen nun, es kommen im Laufe der Zeit neue oder weitere Berater ins Unternehmen, dann stoßen diese oft auf Vorbehalte. Diese können minimiert werden, wenn sich die „Neuen“ im Vorfeld mittels der Wissensdatenbank das Wissen ihrer Kollegen aneignen können, mit denen die Kundenorganisation schon lange erfolgreich zusammenarbeitet. Das spart zudem Zeit und Geld, weil die neuen, externen Berater nicht erst wieder von den Firmeninternen eingearbeitet werden müssen.
Die digitale Beratung in Beratungsprozess integrieren
Eine digitale Beratung umfasst also mehr als die Ebenen Kommunikation und Kollaboration. Sie dient auch dazu, Beratungsprozesse zu beschleunigen und zu effektivieren. Dabei darf das (partielle) Digitalisieren der Beratung jedoch nie zu einem Vernachlässigen des Faktors Mensch in den Veränderungsprozessen und -projekten führen.
Beachten die Berater und ihre Klienten dies, liegen in der digitalen Beratung große Optimierungs- und Einsparpotenziale für alle Prozessbeteiligten – sowohl in zeitlicher als auch finanzieller Hinsicht. Auch die Qualität der Beratung kann davon profitieren, weil die Berater bei einem akuten Bedarf nicht erst anreisen müssen, was oftmals erst Wochen später möglich ist. Deshalb ermöglicht eine (partielle) Digitalisierung der Beratung auch eine bessere Betreuung der Kunden. Diese Chancen gilt es, bei der erforderlichen Umgestaltung der Geschäftsprozesse in den Beratungsunternehmen im Zuge der Digitalisierung ihres Business zu nutzen.
Vanessa Griebel
Zur Autorin: Vanessa Griebel ist (Online-)Marketing- und -Business Development-Managerin bei der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de).